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Fränkisches Bier ist schon immer Craft
Der fränkische Biertrinker ist traditionell geprägt. Warum auch von etwas abschweifen, das seit Jahrhunderten funktioniert? Never change a running system, wenn seit einer gefühlten Ewigkeit das gleiche ungespundete, leicht dunkle, naturtrübe, untergärige Kellerbier schmeckt. Warum auf neumodische Trends aufspringen, die aus den USA herüberschwappen?
Doch liegen hier bereits Denkfehler im System traditioneller fränkischer Biertrinker. Neu ist vielleicht der Trend, den dünnbiergeplagte amerikanische Bierfanatiker bereits in den 1960er-Jahren angestoßen haben. Aus dem Wunsch resultierend, endlich mal gutes Bier zu trinken, blieb den Bieraficionados nichts anderes übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen und sich an Rezepten der Alten Welt zu bedienen. So schwappen nun Rezepte als vermeintliches Craft Beer aus den USA nach Franken, die ursprünglich wesentlich näher beheimatet waren, nämlich vor allem in England, Belgien und dem Rest Deutschlands.
„Setzt man die amerikanische Definition für Craft Beer als handwerklich hergestelltes Bier kleiner Brauereien an, lässt sich heute so gut wie jede Brauerei in Franken unter diesen Begriff subsumieren“, erläutert Georg Rittmayer aus Hallerndorf.
Kellerbier, Zwickl & Co.
Natürlich ist das Gros der immer noch mit der höchsten (oder zumindest sehr großen) Brauereidichte weltweit hausieren gehenden Brauereien nach wie vor mit den üblichen Biersorten wie Hell, Dunkel, Pils und Weizen zugange. Fragt man Außenstehende, werden als klassische Vertreter in Franken Kellerbier, Ungespundetes, Zwickl oder Lager propagiert. Dabei sind diese vier Begriffe entgegen der landläufigen Meinung keine typischen fränkischen Bierstile, sondern lediglich Ausprägungen einzelner solcher.
So kann ein Kellerbier heller oder dunkler, süßer oder herber ausfallen. Untergärig und naturtrüb (Zwickl) vorausgesetzt. Auch momentan ach so marketingträchtiges Lager bezeichnet ursprünglich nur die Art der langen Lagerung und gilt heute für eigentlich alle untergärigen Biere.
Ebenso ist es dem Ungespundeten egal, aus welcher Sorte es aufgrund nicht abgeschlossener Gärung mit weniger Kohlensäure entsteht. Unterm Strich also alles traditionelles fränkisches Craft Beer.
Dass sich im traditionsbewussten Franken viele umtriebige Brauer und experimentierfreudige Quereinsteiger befinden, die einer Rezeption historischer europäischer Bierstile nicht im Wege stehen, sollen exemplarische Beispiele verdeutlichen. Umfasst das Brauen dieser vermeintlich neuen Bierstile doch lediglich die Auseinandersetzung mit althergebrachten Traditionen auch aus benachbarten Regionen. Das ebenso über Tschechien wie Norddeutschland inzwischen nach Franken eingewanderte Pils ist nichts anderes und wird heute bei eingefleischten fränkischen Bierenthusiasten zumindest akzeptiert.
Das fränkische Ur-Craft Beer
Unter diesen Voraussetzungen zählt natürlich der alteingesessene Bierstil des Rotbiers in Franken ganz eindeutig zu den Craft Beer-Vertretern – quasi das fränkische Ur-Craft Beer. Vorausgesetzt, es wird handwerklich und mit Ambition hergestellt. Lange Zeit vergessen, vielleicht dem Boom von Pilsner und Weizenbier geschuldet, besann sich erstmals Reinhard Engel, Braumeister und Inhaber der Hausbrauerei Altstadthof in Nürnberg, auf dessen Wiederbelebung.
Eine historische Nürnberger Biersorte und somit bestens geeignet als Basis für Craft Beer. Seit 1984 ist Engel handwerklich-ökologisch tätig, an Stelle einer 1906 geschlossenen Sudstätte mit urigen Felsenkellern und gemütlicher Wirtschaft. Weitere Sorten wie Helles, Schwarzbier, Weizen und saisonale Bockbiere, gerne moderat kaltgehopft, runden das Sortiment der Hausbrauerei Altstadthof ab.
Rotbier als Szenegetränk
2007 erweckte Stefan Stretz das Rotbier mit seinem Schanzenbräu aus dem Dornröschenschlaf fürs jüngere Publikum.
Ursprünglich im Szeneviertel Gostenhof beheimatet, erreichte Stretz mehrfach seine Kapazitätsgrenzen und braut heute auf modernster Anlage am Stadtrand Nürnbergs seine Kultgetränke. Neben historischem Rotbier entsteht Schwarzbier, das durch Trockenheit, Röst- und Hopfenbittere an obergärige irische Vertreter aus der Ecke Stout und Porter erinnert.
Die dezent-aromatische Kalthopfung verleiht dem Kehlengold, einem goldblonden Lager, den gewissen Kick an Zitrusfrische, ohne jedoch traditionelle fränkische Biertrinker allzu sehr zu verunsichern.
Smoky George – Craft und Reinheitsgebot schließen sich nicht aus
Zwischen Forchheim und Bamberg residiert einer der fränkischen Vorreiter in Sachen Craft. Lange bevor findige Marketingstrategen begannen, auf dem Craft Beer-Boom mitzureiten, experimentierte Georg Rittmayer in Hallerndorf mit Sorten aus dem heutigen Craft Beer-Bereich.
Holzfasslagerung spielte eine große Rolle, Jahrgangsbiere mit verschiedenen Fassvarianten – Whisky, Rotwein oder Bourbon – entstanden lange Zeit vor anderen. Heute wird sein traditionell am Reinheitsgebot und an regionalen Wünschen ausgerichtetes Sortiment durch immer neue Interpretationen aktueller Craft Beer-Sorten bereichert.
Mit seiner Craftmayer-Linie gibt Rittmayer seinem Braumeister Gelegenheit, individuelle Sude zu testen und bei Gefallen wiederholt regional zugänglich zu machen. Als großer Verfechter des Bayerischen Reinheitsgebots werden alle Biere von Rittmayer demensprechend eingebraut.
Rittmayer geht im Sortiment sogar noch weiter: Mit dem Smoky George braut er äußerst erfolgreich eine wirkliche Neukreation im Craft Beer-Segment: Durch seine Liebe zu schottischem Whisky und die Mitgliedschaft im Nürnberger Whisky-Club „Highland Circle“ entstand ein Rauchbier, das die klassische fränkische Brauweise mit schottischem, getorftem Rauchmalz verbindet.
Experimente im Holzfass
Eine Verfeinerung der Biere durch den Einsatz verschiedenster Holzfassvarianten betreibt nicht nur Rittmayer, sondern auch Mike Schmitt schon seit Beginn des Craft-Beer-Booms in Franken.
Inspiriert durch belgische Biere aus dem Holzfass und spontane Hefen entstehen in seiner Brauerei Nickl in Pretzfeld – nicht zuletzt inspiriert durch Freund, Destillateur und Nachbar Johannes Haas – individuelle Kreationen. In Kooperation brauen sie neben fränkischen und amerikanischen Craft Beer-Sorten fassgelagerte Varianten zum Beispiel aus Bourbon-, Rum- oder Obstbrandfässern.
Diese Sudhaustür steht für Wanderbrauer offen
Ebenso traditionell wie innovativ arbeitet Jörg Binkert in Breitengüßbach nördlich von Bamberg. Seine Marke Mainseidla vereint klassisch fränkische Biere wie Kellerbier mit Craft Beer wie z. B. englischem Porter.
2012 wagte er im Epizentrum höchster fränkischer Brauereidichte eine Brauereineugründung. Schmuckstück des Brauhauses Binkert ist das Sudhaus vom renommierten Bamberger Brauanlagenhersteller Kaspar Schulz. In dessen Genuss kommt nicht nur Binkert selbst, seine Sudhaustür steht auch für Wanderbrauer offen. Zweigleisigkeit, Brauen von eigenem Bier sowie Zur-Verfügung-Stellen der Anlage für Wanderbrauer – das ist sein Metier.
Allerdings erkennt Binkert bei vielen Kollegen den Trend hin zum Hellen Bier. Er wagt sich nun mit neuer Technik an das Helle heran, welches ja bekanntlich keine Fehler verzeiht.
Beim Craft Beer sieht er das Erreichen des Zenits. Gerade im Lohnbraubereich ist die Nachfrage stark zurückgegangen. Allerdings etabliert sich auch hier eine neue Stilrichtung: Der neueste Trend heißt New England IPA und das vor allem in der Dose. Diese Verbrauchernische bevölkern momentan aber noch hauptsächlich die Bier-Nerds.
Dementsprechend extrem sind Brau- und Dryhopping-Verfahrensweisen. Laut Binkert eine echte Herausforderung, da ständig neue Sorten generiert werden müssen. Die Möglichkeit, zehn verschiedene Fassbiere aus dem Mainseidla-Sudhaus verkosten zu können, ist in jedem Fall eine Reise nach Breitengüßbach wert.
Präzise Abbildung internationaler Stile
Einer von Binkerts Kunden ist die Hopferei Hertrich, besser bekannt unter dem Namen ihrer Biere: Veto – Gegen Massenbierhaltung.
Familie Hertrich, Vater Ralph und die beiden Söhne Daniel und Michael, mit Background Biersommelier und Brauer, experimentieren und brauen zuhause in kleinem Rahmen.
Die professionelle Umsetzung erarbeiten sie anschließend in Breitengüßbach. Dort entstehen sehr präzise Biere, vor allem internationale Bierstile, die heute als klassische Vertreter von Craft Beer gelten.
Hopfentiger IPA und Schokobär Stout stechen bei Blindverkostungen reihenweise die Konkurrenz aus den Ursprungsländern der einzelnen Bierstile aus und sahnen regelmäßig Preise ab.
Spiel mit Hefe, Früchten und Gewürzen
Einen Schritt weiter geht Felix vom Endt mit Orca Brau im äußersten Nürnberger Nordwesten. Ans Brauen im kanadischen Vancouver und in Berlin bei der Brauerei Heidenpeters herangeführt, verlegte er vor einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt nach Franken.
Angetan von belgischen Bierstilen, Holzfasslagerung, aber vor allem vom Einsatz von Früchten, Gewürzen und den dazu passenden belgischen Spezialhefen werden auf seiner gerade erweiterten Anlage Biere mit Liebe zum Detail und Experimentierfreude gebraut. Kellerbier oder Pale Ale ergänzen das Sortiment.
Er wiederum sieht eine Renaissance für Craft Beer in Franken. Gab es vor vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten noch unterschiedlichste Brau- und Bierstile auf engstem Raum in Franken, hat es sich in den letzten Jahrzehnten sehr angeglichen, gibt es heute nur noch einige Biere mit kaum geschmacklichen Unterschieden.
Abschließend bringt sein Statement die aktuelle Craft Beer-Szene in Franken auf den Punkt: „Langsam werden wieder einzelne Geschmacksnuancen herausgearbeitet, sei es mit verschiedenen regionalen Aromahopfen im Kaltbereich, unterschiedlichen historischen Braumalzen aus fränkischer Landgerste, Imperialgerste, Emmer oder Dinkel. Fasslagerungen und fantastische Zutaten wie Kirschen aus der Fränkischen Schweiz, Weintrauben aus Unterfranken oder Tomaten aus Bamberg finden den Weg ins Bier. Kreativität, Freiheit, Individualität mit höchsten Ansprüchen an Qualität und Geschmack – das ist Craft Beer.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.