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Mann in einem Schutzanzug vor einer Wand
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Hefejagd

Je dreckiger, desto besser!

Hefe produziert nicht nur Alkohol, sondern auch die meisten Aromastoffe im Bier. Doch viele alte Hefen sind heute in Vergessenheit geraten. Zwei Wissenschaftler wollen sie finden und wieder zum Leben erwecken. 

Eine steile Treppe verschwindet in bodenloser Dunkelheit. Mathias Hutzler steigt 153 glitschige Stufen hinab. Ihm dicht auf den Fersen ist Steven Wagner. Beide Männer balancieren große Styroporboxen, darin sterile Petrischalen, Pinzetten und Plastikröhrchen. Als sie am Ende der Treppe ankommen, stellen sie die Kisten auf dem feuchten Boden ab und schauen sich neugierig um. Fahles Neonlicht erhellt die unverputzten Wände. Wasser tropft von der Decke. Es ist so kalt, dass jeder Atemzug als kleines Wölkchen sichtbar wird. Hier beginnt heute ihre Hefejagd.  

Mathias Hutzler leitet das Hefezentrum an der Universität Weihenstephan. Steve Wagner lehrt Genetik an der Central Washington State University und ist für ein Sabbatical in Weihenstephan zu Gast. Sie haben sich beim World Brewing Congress in Portland kennengelernt und gleich ihre gemeinsame Leidenschaft entdeckt. Die Einzeller, die einen Getreidesud in Bier verwandeln. Die Hefe. Gemeinsam haben sie eine Mission. 

 

Hefe produziert 80 Prozent der Aromen im Bier

 

Sie wollen neue Hefestämme finden oder besser gesagt: sehr alte Hefestämme. Hefen, die vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten beim Bierbrauen zum Einsatz kamen und irgendwann in Vergessenheit gerieten. Die von Brauern ausgetauscht wurden gegen Hochleistungsstämme, die schneller gären und robuster arbeiten. Einzigartige Aromakombinationen gingen bei dieser Auslese verloren. Bier schmeckte früher, auch dank der verschiedenen Hefen, deutlich unterschiedlicher. 

Denn Hefe bringt rund 80 Prozent der Aromen ins Bier. Ob ein Bier nach Banane schmeckt, nach frischgemähtem Gras oder doch eher nach Grapefruit bestimmt zu einem großen Teil die Hefe. Nimmt man die gleiche Würze und gibt unterschiedliche Hefestämme hinzu, dann entstehen daraus komplett andere Biere. „Die Unterschiede sind so gewaltig, das würde jeder Laie sofort merken“, sagt Mathias Hutzler. Auch bei der Produktion von alkoholfreiem Bier, ein stetig wachsendes Feld in der Branche, soll die Hefejagd helfen. 

Der erste Ort, an dem die beiden Wissenschaftler suchen, ist der Keller der Vulkanbrauerei in Mendig in der Eifel. Laut Angaben der Brauerei der tiefste Bierkeller der Welt. Hutzler und Wagner ziehen sich weiße Kittel an und verstecken Haare und Schuhe unter Plastikhauben. Dann stapfen sie los durch die tropfsteinhöhlenartigen Gewölbe. 

Die Temperatur in dem alten Steinbruch liegt konstant bei sechs bis acht Grad Celsius. Zu Hochzeiten gärte es hier in Bottichen von 28 verschiedenen Brauereien. Dann kam die Kältemaschine und mit ihr das Ende der Bierkeller. In den 1980er Jahre verschwand auch noch die letzte verbliebene Brauerei aus dem Gewölbe. 

 

Zwischen Schrott auf Hefejagd

 

Die riesigen Gärkessel ließen sie unter Tage zurück. Heute lässt sich ihre einst weiße Farbe nur noch erahnen, zu hungrig hat der Rost an den Stahlungetümen geknabbert. Hutzler schnappt sich eine Leiter, lehnt sie gegen den Kessel und steigt hinauf. Dann kratzt er mit einem Spatel an der Innenwand des Tanks herum. Alles, was sich löst, fängt er in einem kleinen Plastikröhrchen auf. Als nächstes nehmen sich die beiden Hefejäger alte Leitungen vor.  Sie schneiden Schläuche ab, schaben an bröckligen Gummidichtungen herum und stochern mit Wattestäbchen in dunklen Rohren. Dass in den Kellern noch so viel Kram herumlungert, freut Matthias Hutzler. Das Motto seiner Hefejagd: Je dreckiger, desto besser. Er hofft darauf, dass die Brauer damals die Kessel nicht ordentlich geputzt haben. Dass Bier aus Leitungen getropft oder Schaum aus dem Tank gequollen ist. Dann stehen die Chancen gut, dass noch heute Hefen beziehungsweise ihre Sporen im Keller zu finden sind. 

Weil Hefen mikroskopisch klein sind, wussten die bierbrauenden Menschen viele tausend Jahre gar nicht von ihrer Existenz. Sie gaben nur Wasser, Malz und Hopfen in einen Bottich. Die Hefe gesellte sich von selbst dazu. Sie schwebte aus der Luft herbei, klammerte sich an Hopfen oder Malz fest oder fiel dem Brauer aus dem Bart direkt in den Kessel. 

Auch heute setzen einige Brauer wieder auf diese Spontangärung. Anstatt ihren Sud gezielt mit einer reinen Hefekultur zu versetzen, lassen sie den Tank offen und warten darauf, dass wilde Hefen aus der Umwelt hineinfallen und ihre Arbeit aufnehmen. Wer es etwas kontrollierter mag, der kann sich an Winzern orientieren, die auf eine Mischvariante setzen. Zusätzlich zu den im Most vorhandenen wilden Hefen geben sie große Mengen Reinzuchthefe. Letztere sind in der Überzahl und übernehmen das Kommando. Gärung und Aromaentwicklung lassen sich somit besser steuern.   

 
Mann im Schutzanzug kniet am Boden. Daneben ein Bunzenbrenner und Reagenzgläser

Eine folgenschwere Kreuzung

 

Tausende von Jahren waren vor allem obergärige Hefen (Saccharomyces cerevisiae) dafür verantwortlich, den Malzzucker in Alkohol zu verwandeln. Erst vor rund 500 Jahren kam es zu einer folgenschweren Kreuzung aus einer obergärigen Hefe und einer wilden Hefe namens Saccharomyces eubayanus. Dabei entstand die untergärige Lagerhefe (Saccharomyces pastorianus). 

Inzwischen häufen sich in der wissenschaftlichen Hefe-Community die Hinweise darauf, dass diese Kreuzung in Deutschland stattgefunden hat. Der Bayrische und der Oberpfälzer Wald aber auch die Gegend um München stehen besonders hoch im Kurs. Auch die tschechische Region Böhmen gilt als ein Favorit.
 

Allein die Beweise fehlen noch. Die wilde Eubayanus-Hefe wurde bisher noch nie in Europa gefunden. Hutzler glaubt, sie versteckt sich einfach zu gut. Was also wäre das bestmögliche Resultat seiner Hefejagd? "Wenn wir Pastorianus- und Eubayanus-Hefe am gleichen Ort fänden", sagt Hutzler und holt einen kleinen silbernen Apparat hervor, der an einen tragbaren Lautsprecher erinnert. Tatsächlich handelt es sich um ein Instrument, das Mikroorganismen aus der Luft filtert. Falls, nur falls, die Hefesporen gar nicht an Wänden und Gärkesseln kleben, sondern durch die Luft schweben und die absurde Szenerie aus der Vogelperspektive betrachten. 

Aus einem kleinen Glaskolben gießt Hutzler eine karamellfarbene Flüssigkeit in eine Petrischale und legt sie in das Analysegerät. Dann tritt er feierlich zehn Schritte zurück und lauscht dem dumpfen Brummen, das die Luftfilterung begleitet. Nach fünf Minuten verstummt das Gerät und Hutzler gießt den Inhalt der Petrischale in verschiedene Glaskolben mit Bierwürze beziehungsweise einer auf Hefe zugeschnittenen Nährlösung. 

 

Versuchssude gären schon

 

Nach fünf Stunden kehren die beiden Forscher wieder an die Oberfläche zurück. Durchgefroren, aber glücklich. Zurück im Labor erhitzen sie die Kolben und lagern sie bei unterschiedlichen Temperaturen. Das soll den Hefesporen Leben einhauchen. In vielen Kolben wächst nichts. Aber in einigen beginnen tatsächlich Hefezellen sich zu teilen.   

An insgesamt 15 Orten haben die beiden Wissenschaftler nach alten Hefen gesucht. Ganze 300 verschiedene Hefestämme haben sie aufgestöbert und im Labor reanimiert. Darunter viele wilde Hefen, die vom Menschen nicht domestiziert worden sind und wohl noch nie in einem Braukessel zum Einsatz kamen. Aber immerhin 14 der gefundenen Hefestämme haben vermutlich eine Vergangenheit als Bierhefe. Mit drei davon haben sie sogar schon gebraut und die Biere auf der BrauBeviale 2018 ausgeschenkt. „Mir persönlich hat es sehr gut geschmeckt“, berichtet Hutzler. Andere Wissenschaftler und Biertrinker haben ihm ebenfalls positive Rückmeldung gegeben. Ach der kommerzielle Erfolg läuft langsam an. Verschiedene Brauereien haben diese drei Hefen bereits gekauft und entwickeln damit neue Produkte. 

Unter den vielversprechenden Hefen war auch ein bisher unbekannter Stamm von Torulaspora delbrückii. Diese Hefe ist besonders interessant für Brauereien, die sich mit der Produktion von alkoholfreiem Bier beschäftigen. Denn Torulaspora verschmäht die beiden häufigsten Malzzucker (Maltose und Maltotriose). Sie futtert lediglich die geringen Mengen Fruktose, Glukose und Saccharose und produziert dementsprechend nur wenig Alkohol. Bei einer Stammwürze von 7° Plato lässt sich mit solchen Maltose-negativen Hefen ein Bier brauen, das weniger als 0,5 Prozent Alkohol enthält und damit als alkoholfrei gilt. 

 

Alkoholfreie Biere dank besonderer Hefen

 

Weil ein Großteil des Zuckers in der Würze verbleibt, schmecken diese Biere süßlicher. Damit trotzdem ein rundes Bieraroma entsteht, sollten die eingesetzten Hefen ausreichend Säure produzieren. Dann entsteht ein rundes Geschmacksprofil.    Dieser Herstellungsprozess ist wesentlich kostengünstiger als den Alkohol durch Vakuumrektifikation oder spezielle Filtrationsmethoden nachträglich aus dem Bier zu entfernen. Allerdings muss man entweder absolut rein arbeiten oder das Bier pasteurisieren. Sonst läuft man Gefahr, dass unbeabsichtigt eine andere Hefe in den Tank fällt und der Malzzucker nachträglich doch noch vergärt.

Doch nicht nur alte Keller, sondern auch fremde Getränke sind eine gute Quelle für neue Hefestämme. Konstantin Bellut, ein ehemaliger Student in Weihenstephan hat in seiner Doktorarbeit Hefen aus dem fermentierten Teegetränk Kombucha auf ihre Tauglichkeit im Braukessel analysiert. Sein Fazit: Die Hefegattungen Candida, Hanseniaspora, Torulaspora und Zygasaccharomyces sind brautauglich und produzieren angenehme Aromen. Und auch bereits etablierte Rotwein- oder Sekthefen können Bier zu ganz neuen Aromen verhelfen.  
Inzwischen haben sich einige Brauereien den Hefejäger Mathias Hutzler ins Haus bestellt. Im Umfeld der Brauereien sucht er nach Hefestämmen, die anschließend exklusiv dem Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Die Brauereien erweitern damit nicht nur das Geschmacksprofil ihrer Biere. Im Handel dient die hyperlokale Hefe als zusätzliches Verkaufsargument bei allen, die bewusst auf regionale Produkte setzen. 

Die Preise für so eine professionelle Hefejagd schwanken je nach Arbeitsaufwand. Die Suche in einem kleinen Keller beginnt bei etwa 300 Euro. Soll großflächig rund um die Brauerei gesammelt werden, kostet es 2000 Euro oder mehr. Dazu kommen die Laborkosten für die Analyse der gesammelten Proben. 

Wer es günstiger möchte, kann auch selbst Hefejäger spielen und eigens gesammelte Umweltproben in sterilen Gefäßen per Express zur Analyse nach Weihenstephan schicken. Dann zahlt man nur rund 130 Euro pro Probe für die Identifizierung des darin enthaltenen Hefestamms. 

 

Frisinga, Tropicus und Nebulosa

 

Es ist ein erster Schritt dahin, das Image der Hefe aufzupolieren. Denn zu Hutzlers Bedauern schreiben Brauer zwar freimütig die Namen der verwendeten Hopfen- und Malzsorten auf ihre Bierflaschen. Aber welche Hefe zum Einsatz kam, das erfahren die Kunden so gut wie nie. Vermutlich hängt das auch mit den bisher recht kryptischen Namen zusammen. Eine der meistverwendeten Hefen heißt TUM34/70. Sexy und einprägsam geht anders.   

Deswegen hat Hutzler sich gemeinsam mit seinen Kollegen hingesetzt und neue Namen für die Hefen erdacht. Klangvolle Namen, die eine Geschichte erzählen oder die wichtigste Eigenschaft der Hefe beschreiben. Frisinga zum Beispiel wurde in Freising entdeckt. Tropicus liefert fruchtige Aromen und Nebulosa produziert ein trübes Bier. Mathais Hutzler würde sich freuen, wenn man diese Namen schon bald auf den Etiketten lesen könnte. 

2019 ging Hutzler wieder auf Hefejagd. Dieses Mal in Wäldern und Naturschutzgebieten in der Oberpfalz, Niederbayern und Franken. „In den vergangenen vier Jahren haben wir gelernt, auf welchen Bäumen und Beeren Saccharomyces-Hefen zu finden sind“, erklärt er. Im Visier standen daher dieses Mal Eichen, Eschen, Ulmen und bestimmte Beeren. Seine Jagd gilt immer noch der Saccharomyces eubayanus. „Entweder haben wir bisher am falschen Ort gesucht oder zu wenige Proben genommen“, ist sich Hutzler sicher. Natürlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit: Dass Saccharomyces eubayanus in Deutschland, der Heimat der untergärigen Biere, inzwischen ausgestorben ist. Doch diese Variante lässt Hutzler erst gelten, wenn er wirklich überall gesucht hat. 

 
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