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Zurück in die Zukunft
Und plötzlich waren wir wie der liebe Gott: In der Züchtung pflanzlicher und tierischer Lebewesen befindet sich die Menschheit an einer Schwelle, die selbst vor wenigen Jahrzehnten noch unerreichbar schien. Mit Hilfe der modernen Gentechnologie ist es möglich, praktisch alles, was wächst und gedeiht, bereits in der Erbmasse für unseren optimalen Gebrauch umzuformen. Wir können sogar ganz neue Kreaturen konstruieren, die noch nie von der Natur hervorgebracht wurden.
Gentechnik-Befürworter weisen auf deren hohe Resistenzen gegen Schädlinge, witterungsbedingte Stresse und die steigende Biomasse hin, die die Zukunft der Welternährung sichern kann. Skeptiker betonen dagegen, dass die Vereinheitlichung der Zuchtziele auch zu einer Vereinheitlichung der Nutzpflanzensorten geführt hat. Ein Blick auf den weltweiten Anbau von Sojabohnen, Mais, Raps, Baumwolle, Zuckerrübe, Flachs, Tomaten, Kartoffeln und vielen anderen Kulturpflanzen lässt an dieser Schlussfolgerung kaum einen Zweifel. Die biologische Vielfalt ist in Gefahr. Und damit – ohne Panik verbreiten zu wollen – auch unser schöner Planet.
Ein Beispiel hierfür liefert die zweizeilige Sommergerste Golden Promise, bis vor kurzem eine der wichtigsten Sorten für die Whiskybrennerei auf den Britischen Inseln. Golden Promise hat sehr homogene, kleine Körner, was für die Whiskyherstellung ideal geeignet ist. Zudem gedeiht die Sorte hervorragend im rauen schottischen Klima, wo sie besonders weiche, süßliche Aromen produziert, die im Zusammenspiel mit einer Sherryfasslagerung für den klassischen, edlen Geschmack der besten Whiskys Schottlands sorgten.
In ihrer Abstammung hat Golden Promise tiefe Wurzeln in britischen Landrassen. Sie ist eine 1966 freigegebene Gammastrahlenmutante der 1954 freigegeben, zweizeiligen Sommersorte Maythorpe, welche eine Kreuzung der 1889 freigegebenen, zweizeiligen Sommergerste Goldthorpe und der 1927 freigegebenen, zweizeiligen, dänischen Wintergerste Maja (auch: Maya) ist. Goldthorpe wiederum ist eine Variante der uralten, britischen Landrasse Chevallier und Maja ist eine Kreuzung zweier skandinavischen Landrassen, Gold und Binder. Allerdings ist Golden Promise sehr anfällig für Mehltau, weshalb sie in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts von der in der damaligen DDR gezüchteten Sorte Triumpf verdrängt wurde. Sie ist seitdem fast ganz vom Anbau verschwunden. Selbst heute trauern echte Scotch Liebhaber auf Internet Blogs noch um den verlorengegangenen Geschmack der Whiskys aus Golden Promise.
Im Bierbereich ist es wenig anders: Die heutigen Elitesorten der Gerste sind alle direkt oder indirekt aus den Landrassen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen. Da die Gerste ein Selbstbestäuber ist, sind diese alten Sorten durchweg natürlich geformte, regional angepasste, landwirtschaftliche Inzuchtlinien, die durch Jahrtausende phänotypischer Selektion entstanden sind. Diese Braugerstensorten wurden oft über mehrere Jahrzehnte angebaut. Jedoch kann Selektion allein keine neuen Sorten mit gesteigerter Leistungsfähigkeit kreieren. Dazu benötigt es der genotypischen Kreuzung. Mit Hilfe derer haben Forscher wertvolle Eigenschaften zweier Eltern in neue Zuchtpflanzen vereinen können. Die heutigen Marker-gestützten Züchtungsmethoden ermöglichen es sogar, genetisches Material aus mehreren Pflanzen gleichzeitig in neue Sorten unterbringen – das Entstehen der sogenannten Elitesorten.
Das Problem: Bei den langlebigen Landrassen wissen wir genau, was die Pflanzen in Bezug auf Resistenzen, Aromen, Stress, Ertrag und Anpassung an Wachstumsbedingungen leisten, selbst wenn sie agronomisch weniger begehrenswert sind als die modernen, hochgezüchteten Elitesorten, welche alle aber nach etwa einem Jahrzehnt ausgedient haben, da sie entweder genetisch labil werden, mutieren oder von noch rasanteren Sorten überholt werden.
Die Rettung der Vergangenheit für die Zukunft
Zum Glück haben einige Organisationen die Bedeutung der Bewahrung der genetischen Vielfalt landwirtschaftlicher Rohstoffe zur Ertragssicherheit in der Zukunft erkannt und arbeiten an der Archivierung alter, stabiler, lokaler Landrassen. Eines dieser Institutionen ist das John Innes Centre (JIC) in Norwich in Großbritannien, wo sich Sarah de Vos seit Jahren um den Erhalt der klassischen Sommergerste Chevallier kümmert, die im Viktorianischen Zeitalter (19. Jahrhundert) in fast jedem Bier auf den Britischen Inseln zu finden war. Chevallier unterscheidet sich in ihrer Genetik komplett von modernen britischen Sorten. De Vos berichtet: „Es war harte Arbeit, über mehrjährige Anbauversuche zunächst die Krankheitsresistenz der Sorte auf dem Feld zu belegen. Erst drei Jahre später kam die Idee zu zeigen, dass man mit dieser Sorte auch ein gutes Bier brauen kann“. Am Ende führte all dies zur Registrierung der Sorte im EU Sortenkatalog, mit Sarahs Firma New Heritage Barley als offiziellem Erhalter der Sorte. Die Arbeit war nicht umsonst, denn die Mälzerei Crisp Malting hat vor sechs Jahren diese Sorte neu kommerziell aufgelegt, sagt Chris Ridout, ein Wissenschaftler, der an der Wiederbelebung der Chevallier Gerste beteiligt war: „Crisp verkauft heute Chevallier in die ganze Welt. Besonders Craft-Brauer in den USA kreieren dort beständig neue Biere mit dieser alten Sorte.“Ein weiteres Beispiel ist die 1996 freigegebene, hocharomatische Sorte Barke® von der Saatzucht Breun mit ihren indirekten Wurzeln in tschechischen und britischen Landrassen aus dem 19. Jahrhundert. Nach Aussage von Martin Breun liefert sie etwa ein Viertel weniger Ertrag als die heute dominanten Sorten. Jedoch hat die Sorte sehr positive Verarbeitungsqualitäten in der Mälzerei und im Sudhaus, weshalb sie immer noch im kleinen Maßstab angebaut wird.
Für beide Sorten ist das innovative Craft-Brau Segment in den USA ein wichtiger Markt.
Angela Lang von der Mälzerei Rhön-Malz hat aber auch in Deutschland mit historischen Sorten bereits einen interessanten Absatzmarkt entdeckt. Sie berichtet: „Neben Chevallier- und Spiegelgersten bieten wir seit Oktober/November 2018 auch eine fränkische Landgerste an. Die Verarbeitung in den Brauereien ist etwas aufwendiger, hier kann und muss der Brauer auf sein technologisches Wissen zurückgreifen. Im Vergleich zu den heutigen Hochleistungssorten verfügen die historischen Sorten über eine andere Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und erste Erkenntnisse der Wissenschaft lassen vermuten, dass hier noch viel Potential, insbesondere zum Thema Lebensmittelverträglichkeit und Bioverfügbarkeit, vorhanden ist“.
Von wegen wertlos – alte Sorten können die Welt retten
Seit Beginn der Menschheitsgeschichte war die Vielfalt der landwirtschaftlich verwerteten Arten die Basis des Lebens und Überlebens in einer wechselhaften Welt. Exoten, Wildformen und Primitivpopulationen waren oft die Absicherung gegen Katastrophen wie Dürren, fortschreitende bzw. rückläufige Eiszeiten oder neue Krankheitserreger und Schädlinge. Nur in der lokal angepassten Vielfalt können Pflanzen ökologische Veränderungen überstehen. Da wir nicht wissen, mit welchen Bedingungen der Klimawandel unsere Nutzpflanzen in der Zukunft konfrontieren wird, ist es riskant — vielleicht sogar verantwortungslos — über Jahrtausende entwickelte genetische Kapazitäten aus dem Genpool verschwinden zu lassen.
Selbst wenn solche Merkmale heute wertlos erscheinen, können sie sich irgendwann als lebensrettend für die Menschheit erweisen, denn die Vitalhaltung alter Heirloom und Terroir Sorten erlaubt es den Züchtern, immer wieder auf bewährtes genetisches Material zurückzugreifen. Beim Malz für ein wohlschmeckendes Bier wird die Vergangenheit daher zunehmend zur Inspiration für die Zukunft.