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Aus Bierhefe wird Ei-Ersatz
Brauereien müssen Wege finden, um Mehrwert jenseits der Bierproduktion zu schaffen und ihre Ressourcen vollständig zu nutzen. Dabei rücken Nebenströme aus der Bierherstellung, beispielsweise Treber oder Bierhefe, ins Zentrum des Interesses. Die Weiterverwendung in der Lebensmittelproduktion verspricht einen gewinnbringenden Einsatz dieser „Rohstoffe“.
Alternative Proteine, Markt der Zukunft
Vor allem die Bierhefe bietet bislang weitgehend ungenutzte Potenziale. Bierhefe enthält viele wertvolle Bestandteile, die z.B. in der Pharmaindustrie gefragt sind. Insbesondere überzeugt Bierhefe aber durch einen hohen Proteingehalt von bis zu 54 Prozent und ist somit äußerst attraktiv für eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten im Nahrungsmittelmarkt. Denn die Nachfrage nach alternativen Proteinen steigt aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung stark an. Der Markt für alternative Proteine aus nachhaltigeren und umweltfreundlicheren Quellen soll laut Prognosen bis 2025 exponentiell wachsen und eine Größe von 290 Mrd USD erreichen.
Die Suche nach Alternativen
Um an diesem Markt erfolgreich partizipieren zu können, versuchen Unternehmen der Lebensmittelindustrie bereits jetzt, Alternativen zu tierischen Produkten herzustellen. Die bislang hauptsächlich eingesetzten pflanzlichen Proteine weisen allerdings im Vergleich zu tierischen Proteinen unterlegene Eigenschaften auf. Dazu zählen funktionale Eigenschaften wie defizitäre Textur- und Gelbildungseigenschaften sowie Fehlgeschmack, ein unauthentisches Mund- oder Kaugefühl und nicht zuletzt die teils schlechtere Bioverfügbarkeit und das Aminosäuren-Profil pflanzlicher Proteinquellen. Um diese Eigenschaften auszugleichen, sehen sich Produktentwickler gezwungen, auf unerwünschte Zusatzstoffe zurückzugreifen.
Proteine aus Mikroorganismen
Bei der Lösung dieser Probleme kommt eine der ältesten menschlichen Kulturtechniken zum Einsatz: die Fermentation. Insbesondere der Brausektor verfügt über umfangreiches Know-how und jahrzehntelange Erfahrungswerte in diesem Prozess. Dieses Synergiepotenzial wurde bereits von Akteuren in der Branche erkannt. Die bislang entwickelten Vorschläge stellen den Biertreber ins Zentrum.
Das Start-up ProteinDistillery geht noch einen Schritt weiter. Das Team hat ein zum Patent angemeldetes Veredlungsverfahren entwickelt, welches es ermöglicht, jegliche Arten von Biomasse – speziell Hefe – zu hochwertigem veganem Protein zu verwerten. Der Prozess zerlegt Mikroorganismen in ihre funktionalen Bausteine. Dabei wird ein Protein gewonnen, welches es Lebensmittelherstellern erstmals ermöglicht, authentische Alternativen zu kreieren, ohne mit Einschränkungen bei Geschmack, Konsistenz oder Nährwert rechnen zu müssen.
Ortsunabhängige Skalierung
In der ersten Phase wird zur Proteinherstellung ausschließlich Bierhefe aus Braunebenströmen verwendet. Dieser kreislaufwirtschaftliche Ansatz bietet große Vorteile in Bezug auf Nachhaltigkeit bzw. CO2-Einpreisung seitens der Lebensmittelhersteller.
Ungenutzte Rohstoffpotentiale für die weitere Skalierung des Konzeptes finden sich neben Bierhefe aus Kohlenhydratnebenströmen auch in anderen Biomassequellen, welche sich deutschlandweit auf 1,6 Mio Tonnen jährlich, in der EU sogar auf 14 Mio Tonnen belaufen. Dadurch kann der Prozess der Fermentation ortsunabhängig mit kurzen und resilienten Versorgungsketten skaliert werden.
Schonende Aufbereitung der Hefe-Proteine
Im Herstellungsprozess wird eine schonende Aufreinigung eingesetzt, um den bitteren Geschmack des Hefeproteins zu neutralisieren. Diese Methode sorgt dafür, dass das Protein in seiner natürlichen Form und Funktionalität erhalten bleibt. Das Ziel des schonenden Prozesses ist eine höhere Qualität und Reinheit des Proteins, was es für die Verwendung in verschiedenen Lebensmittelprodukten besonders attraktiv macht.
ProteinDistillery bietet auf diese Weise durch die exzellenten technofunktionalen Eigenschaften des Proteins einen perfekten Ersatz für tierisches Eiweiß. Sowohl in den Kategorien Löslichkeit, Wasserbindungskapazität, Gelierung, Emulgierfähigkeit als auch Schaumbindungskapazität kommt das Protein – anders als die meisten pflanzlichen Proteine – herkömmlichem Ei-Protein nahezu gleich, was als Gold-Standard für Proteine im Lebensmittelbereich gilt. Die bekannten Eigenschaften des Ei-Proteins wie Aufschäumen oder das Festwerden beim Erhitzen werden somit auch mit veganen Proteinen ermöglicht.
Individuelle, hochfunktionale Produkte
Im Rahmen des Herstellungsprozesses wird die Bierhefe in ihre einzelnen Grundbestandteile zerlegt: Proteinfraktionen mit verschiedenen technofunktionalen Eigenschaften, Bestandteile der Zellwand und weitere teils aromaaktive Komponenten. Anschließend werden die verschiedenen Ströme wieder so zusammengesetzt, dass ein hochfunktionales Produkt entsteht und den Kunden individuell optimierte Lösungen angeboten werden können. Nebenprodukte wie Nuklein- und Fettsäuren oder Zellwandfraktionen eignen sich zum Beispiel für die Aroma-, Pharma- oder Futtermittelindustrie.
Weitgefächerte Anwendungen
Das Protein ist aufgrund der oben beschriebenen Eigenschaften nicht nur auf eine einzige Anwendung in der Lebensmittelindustrie beschränkt, sondern kann für unterschiedlichste Anwendungsfelder genutzt werden:
- Für die Herstellung von Fleischalternativen kann auf chemische Zusatzstoffe wie Methylcellulose verzichtet werden;
- Burger Patties können durch Einsatz des Proteins mit hoher Wasserbindungskapazität und Gelierfähigkeit beim Braten eine feste Form mit angenehmer Konsistenz erhalten;
- das Protein kann sowohl zur Herstellung von alternativen Ei-Produkten wie z. B. Rührei als auch als Ei-Ersatz in Backwaren verwendet werden;
- auch für Käsealternativen mit typischem Schmelzverhalten kommt das Protein in Frage;
- ein Aufschlagen des Proteins ähnlich wie Eischnee wird durch eine hohe Schaumbildungskapazität und -stabilität des Proteins ermöglicht. Die hohe Emulgierfähigkeit ermöglicht vegane Milch zum Aufschäumen.
Laut Berechnungen von ProteinDistillery ist von der in der deutschen Brauwirtschaft vorhandenen Menge an Bierhefe nur ein kleiner Teil für die anfängliche Produktion notwendig. Anschließend kann die Produktion mit innovativen Konzepten zur Erhöhung der Biomassenmengen skaliert werden. Über die Produktion von Hefe über Nebenströme hinaus gibt es großes Potenzial für die Brauereibranche, welche mit Unterstützung von langfristigen Partnern durch Fermentation neue Absatzmärkte im Ernährungsbereich erschließen könnte.
Kooperation mit Brauereien
Eine Brauerei kann bereits als einfacher Hefelieferant in den Prozess eingebunden werden. Da der Proteinherstellungsprozess besonders einfach ortsunabhängig skalierbar ist, kommen auch weitere Arten einer Zusammenarbeit infrage, wie der Aufbau der Produktionsanlage auf dem Gelände einer Brauerei. Der Fermentationsprozess würde direkt in der Brauerei ermöglicht und gegenseitiges Know-how ausgetauscht werden.
Eine große Chance liegt auch in der Nutzung nicht voll ausgelasteter Kapazitäten in einer Brauerei. Diese Kapazität könnte vermietet werden, um noch mehr Biomasse herzustellen oder auch andere Arten von Hefe durch Fermentation zu erzeugen. Dieses Konzept sieht nicht vor, in den Brauprozess einzugreifen. In der Nutzung freier Kapazitäten liegt das Potenzial für Spezialgärungen mit z. B. hochprozentiger Alkoholfermentation und auch signifikante Chancen für die Forschung an neuartigen Formen der Hefeerzeugung. Für die Verarbeitung potenzieller wertiger Sekundärprodukte werden aktuell Prozesse entwickelt und Berechnungen verifiziert. Dasselbe gilt für die Hefeernte auch in kleinen und mittelgroßen Brauereien.
Das Gründerteam wurde im Dezember 2022 bei der Verleihung des deutschen Nachhaltigkeitspreises unter Anwesenheit des Bundeskanzlers Olaf Scholz mit dem Next Economy Award ausgezeichnet und hat kurz danach die Finanzierung der ersten Anlage erfolgreich abgeschlossen. ProteinDistillery ist dadurch seiner Vision, das Lebensmittelsystem zu transformieren, mit dem Ziel, die Weltbevölkerung zu ernähren und unsere Lebensgrundlagen zu sichern, einen Schritt nähergekommen.